Journalismus - wozu das alles?
Veröffentlicht von Johannes F. Reichert in Strategie · 30 Mai 2018
Tags: Change, Kulturwandel, TV, Radio, Print, Online
Tags: Change, Kulturwandel, TV, Radio, Print, Online
In diesen Zeiten Journalismus zu machen, ist wirklich kein toller Job:
Ein Sparkonzept folgt dem nächsten, Stellen werden abgebaut, Ressourcen gestrichen. Ständig kommen neue Aufgaben hinzu: Genügte es früher, einfach nur einen guten Artikel oder Beitrag zu produzieren, muss heute zusätzlich noch das Foto für Facebook her, ein Tweet oder eine Neufassung für die Website. Ganz zu schweigen von dem permanenten Druck, technologisch auf der Höhe der Zeit zu sein, keine wichtigen Entwicklungen zu verpassen, Trends von Hypes zu unterscheiden. Hinzu kommt der zusätzliche Verwaltungsaufwand: Rechteklärung, Eintrag in interne Planungssysteme oder Abrechnungs-Datenbanken. Die Arbeitsverdichtung nimmt zu, oft genug zu Lasten der journalistischen Qualität.
Und als Dank: ein in dieser Form noch nie erlebtes Misstrauen der Kunden: „Stimmt nicht, im Internet steht genau das Gegenteil!“ „Und dafür zahl ich Geld!?“ „Fake News!“ „Wer bezahlt dich dafür!?“ Ein Shitstorm ist schnell ausgelöst.
Nein, es ist kein Zuckerschlecken.
Warum also Journalist sein? Oder genauer: Warum ein guter Journalist sein?
Ganz einfach: Weil Journalismus wichtig ist, vielleicht wichtiger als je zuvor.
Die gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen haben ein ungeahntes Maß an Komplexität und Dynamik entwickelt: Die Potenzierung an Informationsmöglichkeiten in Folge der Digitalisierung und die (vermeintliche) erhöhte Transparenz haben nicht zur erhofften höheren gesellschaftlichen Teilhabe geführt. Im Gegenteil: Der information overload hat die westlichen Gesellschaften wie nie zuvor polarisiert, fragmentiert, isoliert.
Narzisstische Politiker auf Twitter, Verschwörungstheorien auf Facebook, krude Weltbilder auf obskuren Websites, Influencer auf YouTube, hochprofessionelle Presse- und Öffentlichkeitsarbeiter: Egoistische Einzelinteressen erreichen steigende Reichweiten, immer höhere Aufmerksamkeit und Bedeutung, prägen mehr denn je unsere Vorstellungen von Wirklichkeit und Wahrheit.
Qualitäts-Journalismus als „bestmögliche Version von Wahrheit“ (U. Haagerup) geht fast unter in dieser Welt zwischen Gerüchten, Hypes und gezielter Falschinformation, erfährt immer weniger Nachfrage und Wertschätzung. Egal ob in Tageszeitungen, Radio oder TV: Der klassische Journalismus mit aufklärerischem Selbstverständnis scheint ein Auslaufmodell zu sein, ein zeitgebundenes Phänomen, das gemeinsam mit seinen treuesten Kunden in einigen Jahren aussterben wird.
Welche Welt wird das dann sein?
Eine Welt aus autistischen Bürgern, gefangen in selbstreferenziellen Filterblasen, in der kein Diskurs mehr nötig sein wird. Eine Welt mit völlig disparaten Werten, die nicht mehr ausgetauscht oder in Frage gestellt werden, weil jede Teilwirklichkeit sich selbst genügt. Eine Welt, in der Politiker, PR und Plattformbetreiber die öffentliche Agenda bestimmen, indem sie Themen setzen - und andere ausblenden.
Eine Welt aus autistischen Bürgern, gefangen in selbstreferenziellen Filterblasen, in der kein Diskurs mehr nötig sein wird. Eine Welt mit völlig disparaten Werten, die nicht mehr ausgetauscht oder in Frage gestellt werden, weil jede Teilwirklichkeit sich selbst genügt. Eine Welt, in der Politiker, PR und Plattformbetreiber die öffentliche Agenda bestimmen, indem sie Themen setzen - und andere ausblenden.
Es wird eine Welt ohne Gemeinschaft sein, ohne das Ringen um den Ausgleich von Interessen, ohne Streit, ohne neue Ideen, ohne hörbare Stimmen der Bedürftigen und Machtlosen.
Es wird eine Welt ohne Reden sein, ohne Empathie.
In all ihrem tosenden Lärm wird diese Welt zugleich sehr still sein.
Totenstill.
Es wird eine Welt ohne Reden sein, ohne Empathie.
In all ihrem tosenden Lärm wird diese Welt zugleich sehr still sein.
Totenstill.
Die Welt braucht guten Journalismus und gute Journalisten, um genau das zu vermeiden.
Will diese Gemeinschaft als Gemeinschaft überleben, braucht sie eine gemeinsame Öffentlichkeit, in der sie die Spielregeln des Zusammenlebens entwickelt, sich auf gemeinsame Werte verständigt. Sie braucht das Reden, das Ringen um Lösungen. Sie braucht Impulse und frische Ideen, die in einem möglichst weiten Kreis – über Filterblasen und Lager hinweg - diskutiert und weiter entwickelt werden. Sie braucht laute Stimmen für die Leisen. Sie braucht Haltungen und Engagement für die bestmöglichen Ergebnisse.
Offenbar will oder kann niemand sonst diesen Job übernehmen.
Also braucht es gute Journalisten, die diese Herausforderung annehmen. Die es als ihre Aufgabe ansehen, die Breite und Vielfalt im Miteinander dieser Gesellschaft zu sichern. Die sich nicht ausruhen auf Antworten und Meinungen aus ihrer eigenen Filterblase. Die neue Plattformen und Arbeitsweisen nicht nur als Belastung sehen, sondern als Chance für noch bessere und breitere Berichterstattung. Die sich nicht zufrieden geben mit einem guten Artikel, sondern seine möglichst breite Wirkung im Auge behalten. Die ihre Leser, Zuschauer und Hörer nicht als ‚Konsumenten‘ sehen, sondern als anspruchsvolle Kunden und Partner. Die auch unter schwierigen Bedingungen stetig weiter ringen um die „bestmögliche Version von Wahrheit“.
Mit anderen Worten: Diese Welt braucht Helden.
Wie bei jeder guten Heldengeschichte muss auch dieser Held viele Herausforderungen bestehen, Widerstände überwinden, um die Welt zu retten. Er muss sich mit scheinbar übermächtigen Gegnern anlegen und eigene Grenzen überwinden. Am Ende ist nicht nur die Welt gerettet, sondern auch er selbst ist transformiert – ist reifer, klarer, stärker geworden.
Und so ist jeder Tag, an dem gute Journalisten unter widrigen Bedingungen gute Artikel und Beiträge erstellen, ein wichtiger Tag: Ein weiterer Schritt hin zu einer besseren Welt.
Danke für einen guten Job!